Original von Dirk Schmaler (2009): Hannoversche Allgemeine Zeitung, Nr. 65 12. Woche, 18. März 2009 Hannover, S. 1
Jugend - Keine Bange!
Die Jugend von heute, sie kann einem Angst machen - zumindest, wenn man sie nur aus Studien und Schlagzeilen kennt. Sobald es um Schüler geht, wird dort wahlweise bedauert und bemitleidet oder gemäkelt und Alarm geschlagen, was das Zeug hält: Jugendliche sind zu dick, ihre Schulleistungen halten dem internationalen Vergleich nicht stand, mit ihren Handys drehen sie Videos von prügelnden oder nackten Mitschülern, und am Wochenende saufen sie sich ins Koma. Den Rest ihrer Freizeit verdaddeln sie in Internetnetzwerken, mit stundenlangen Computerspielen und vor der Glotze.
Gefahr von rechts
Immerhin die Gewalt unter Jugendlichen sei nun etwas zurückgegangen, hieß es gestern. Die zweite, eingängigere Nachricht des Tages rückte das gewohnt schlechte Bild jedoch gleich wieder zurecht: Mehr als 14 Prozent der Neuntklässler in Deutschland sind demnach "sehr ausländerfeindlich". Die Zahlen sind eine Katastrophe, und man sollte alles dafür tun, sie zu verbessern. Nur taugen die Befunde trotz aller Dramatik kaum zum Kopfschütteln über "die Jugend". So bitter das ist: Im Vergleich zu ihren ach so erwachsenen Erwachsenen zeugt das ernüchternde Ergebnis sogar von überdurchschnittlicher Aufklärung. Fragt man nicht nur 15-Jährige, sondern alle Deutschen, so verdüstert sich das Bild dramatisch: Nach einer Untersuchung der Universität Leipzig vom vergangenen Jahr stimmt jeder vierte Deutsche ausländerfeindloichen Thesen zu. 26 Prozent wünschen sich sogar ein Einparteiensystem, das die "Volksgemeinschaft" verkörpere. Das sollte man im Blick behalten.
Ähnlich krude funktioniert die regelmäßog wiederkehrende Debatte um den Fernsehkonsum. Gern wird darüber philosophiert, dass heute der durchschnittliche Jugendliche mehr als 100 Minuten pro Tag vor der Glotze hängt. "Wo soll das nur hinführen?", hieß es erst kürzlich in einer ausgesprochen schlichten Betrachtung. Denn die Antwort ist einfach: Ein Blick auf die Eltern genügt. Die 40- bis 50-Jährigen gucken im Schnitt doppelt so lange täglich fern wie ihre Kinder. Mehr als 200 Minuten. Bei den Großeltern sind es sogar 300 Minuten pro Tag - Tendenz steigend. Nur beim Computerspielen haben die Kinder noch die Nase vorn.
Nun ist das Problem nicht deshalb kleiner, weil man mit dem Finger auf andere zeigen kann. Und Rechtsradikalismus unter jungen Leuten ist kein Spukgespenst von phantasierenden Wissenschaftlern, zudem taugt es nicht für Relativierungen. Dennoch zeigt der wahrscheinlich gut gemeinte Alarmismus: Der Blick auf die Lebenswelten der Jugendlichen ist zu oft aufs Negative beschränkt. Allein, dass es Kriminologen sind, die hierzulande damit beauftragt werden, die "größte Jugendstudie aller Zeiten" durchzuführen, bedeutet eine Unwucht an sich.
Entwarnung im Alltag
Natürlich nehmen gerade Eltern solche Studien dankbar auf - sie bieten Orientierung in einer Welt, die Erwachsene oft nicht mehr verstehen. Doch meckern und sorgen allein reicht nicht. Gerade heute, in einer Zeit des rasanten Umbruchs auf vielen Gebieten, können wir alle von den Jüngeren lernen: Sie bewegen sich im Internet wie die Jugend von vor 20 Jahren auf dem Spielplatz nebenan. Sie leben mit dem Druck, künftig nur noch einen Job zu finden, wenn die Qualifikation internationalen Anforderungen standhält. Sie setzen sich in ihren Schulklassen täglich mit zehn und mehr verschiedenen Nationalitäten auseinander. Kurz: Sie sind es, die - oft erfolgreich - in der Realität leben, vor der ihre Eltern nicht selten noch ängstlich die Augen verschließen.
Wenn es nun heißt, 15-jährige Jungen schließen sich öfter rechtsextremen Gruppen als etablierten Parteien an, dann ist das nicht nur ein bitterer Erfolg der Rechten. Es bedeutet eben auch, dass die Parteien und ihre Jugendorganisationen mit der Lebenswelt der Jugend nicht mehr mithalten können. Und längst nicht alle gehen dann zu rechten Weltvereinfachern. Politisch interessierte Jugendliche bewegt oft ein Problem, keine Partei. Dann arbeiten sie projektbezogen in Umweltorganisationen, oder sie schließen sich offenen Netzwerken wie Attac an. Deren Motto: Eine andere Welt ist möglich. Dort wird global per Internet und vor allem grundsätzlicher diskutiert als im Ortsverein der SPD. Können wir die Klimakatastrophe abwenden? Wofür führen Länder Krieg? Ist die Finanzkrise nur eine Panne oder gar Folge unserer Wirtschaftsordnung? Es sind oft junge Menschen, die solche Debatten führen - während sich die Erwachsenenwelt über die Abwrackprämie freut.
Vielleicht wäre es einmal Zeit für eine groß angelegte Erwachsenenstudie. Die Ergebnisse wären schockierend.