Gordon Freeman kehrt zurück!
Nach langem Warten und gewissen Verzögerungen war es am 16.11 soweit: Der lang ersehnte, sehnsüchtig erwartete Nachfolger des legendären Half-Life kam in die Geschäfte. Die Erwartungen waren natürlich hoch gesteckt; wollte man doch endlich erfahren, was denn nun mit Gordon Freeman passiert ist und wie denn die neue Half-Life-2-Spiele-Engine in Relation zu dem erst kurz zuvor erschienenen Doom 3 abschneiden würde. Daher war es auch nicht verwunderlich, dass direkt am ersten Tag die Onlineserver von Valve immer wieder kurzzeitige Aussetzer zu verzeichnen hatten, verursacht durch die massive Flut an Spielern, die ihr Spiel freischalten wollten, um in den Genuss zu kommen.
Willkommen in City 17
Zu Beginn des Spieles wird der Spieler vom G-Man begrüßt, einem alten Bekannten aus dem ersten Teil. Mit fast schon prosaischen Worten wird man in Kenntnis gesetzt, dass Gordon Freeman (also man selbst) wieder gebraucht wird, diesmal um „als richtige Person am falschen Ort“ zu sein. Dieser falsche Ort ist „City 17“, die Hauptstadt einer vollkommen neuen Weltordnung. Nach diesen ermunternden Einleitungsworten findet man sich in einem Zugabteil wieder, zusammen mit zwei weiteren Fahrgästen, auf dem Weg in die Stadt „City 17“. In der Anfangsphase muss der Spieler erkennen, dass sich seit dem letzten Spiel doch einiges getan hat: Es existieren nur noch einige große Städte auf der Welt, in denen Menschen leben können; und diese Städte sind in der Hand des „Combine“. Ein Polizeistaat, der fast schon orwellsche Züge trägt, wurde erschaffen. Man ist entweder kontrollierter Bürger oder gehört den schlagkräftigen Combine-Truppen an. Wie man sicher erraten kann, muss unser Held Gordon sich als normaler Bürger durchs Leben schlagen.
Kontrolliert und regiert wird die ganze Welt von einem Mann, der bereits sehr früh im Spiel seinen ersten Bildschirmauftritt (im doppelten Sinne) hat. In der Bahnstation, an der man im Laufe der Introsequenz ankommt, ist ein Großbildschirm zu sehen, auf dem das Antlitz von Dr. Breen den Spieler in „City 17“ begrüßt, dem Sitz seiner Regierung. Man erkennt auch sehr schnell die Rangordnung in der Welt, da die Mitpassagiere des Zuges direkt auf dem Bahnsteig einer peinlich genauen Kontrolle durch die Combine-Truppen unterzogen werden. Nicht nur das, es sind auch fliegende Kameras unterwegs, die den Spieler auf Schritt und Tritt verfolgen – Paranoia ist fast schon vorprogrammiert.
Gordon in der Spielwelt
Was also tun? Als Spieler kann man die Anfangsphase des Spiels zunächst mal dazu nutzen, sich an der exzellent gestalteten Spielwelt zu erfreuen. Man kann sich mit den Grundlagen der Steuerung vertraut machen und auch schon die ersten Erfahrungen mit der wirklich überragenden Physik-Engine des Spiels sammeln. Und es ist wirklich einiges zu sehen: Es wurde nicht an liebevoll eingebundenen Details gespart, um eine wirklich lebendige Spielewelt zu erschaffen. Da liegen leere Fastfood-Verpackungen auf dem Bahnsteig, die Plakate an den Wänden zeigen Verwitterungserscheinungen, in einer Wohnungsecke liegt einfach so ein alter Schuh - fast wie im richtigen Leben. Alleine dies ist schon sehr dazu angetan, den Spieler in die Spielewelt zu versetzen, aber darüber hinaus ist es ein tolles Erlebnis, wenn man feststellt, dass man einen Großteil dieser Gegenstände auch noch herumtragen oder –werfen kann! Ein umweltbewusster Spieler könnte natürlich jetzt auf den Gedanken kommen, hier mal für Ordnung zu sorgen und den ganzen Müll in die Abfalltonne zu befördern. Warum auch nicht, er hat durchaus die Möglichkeiten bekommen, so eine Aktion durchzuführen.
Zu Beginn findet man sich in „City 17“ wieder, einer heruntergekommenen, von fliegenden Kameras und Combines kontrollierten Stadt. Der Ausgangspunkt unseres Trips ist die Bahnstation, die deutliche Anzeichen des Verfalls zeigt. Irgendwie findet man nur fremd wirkende Gesichter, die alle verbraucht und ausgelaugt wirken oder eben die maskierten Gestalten der Combines, die die Menschen um sie herum nur dann in Ruhe lassen, solange sie machen, was sie ihnen sagen. Aber schon nach kurzer Zeit trifft man auf einen alten Bekannten, Barney. Er gibt einem die ersten Hinweise, was man eigentlich hier in „City 17“ tun sollen und hilft einem dabei, aus der Bahnstation heraus in die Stadt selbst zu gelangen. Sobald man die Station verlassen hat, wird man das erste Mal um Luft ringen: Die Aussicht auf den riesigen Turm im Hintergrund vor dem wolkenverhangenen Himmel ist schon atemberaubend. Die Passanten dagegen holen den Spieler aber schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück; niemand will mit uns reden oder gesehen werden. Und die Art, wie die Combines einen abblitzen lassen, lässt auch nichts Gutes ahnen. Nach einigem Erforschen der Gegend findet man unter anderem einen Kinderspielplatz und kann sich nochmals von der faszinierenden Physik-Engine des Spiels überzeugen. Einfach mal mit der Wippe und ein paar Backsteinen experimentieren, es macht einen Heidenspaß.
Während des Spielverlaufs wird man nach und nach durch Hinweise auf seine Aufgaben vorbereitet und trifft alte Bekannte und auch neue Gesichter, die man nicht missen möchte. Barney ist ein Geselle, mit dem man durch Feuer und Wasser gehen würde, während Alyx Vance, der wichtigste weibliche Part im Spiel, einfach perfekt ist. Humorvoll, flinke Auffassungsgabe und in der Anfangsphase des Spiels der rettende Engel, der einem vor einem unbekannten, aber wohl eher schrecklichen Schicksal bewahrt. Aber auch die anderen Charaktere, die man trifft, sind zumeist mit viel Hingabe ausgearbeitet und die Sprecher sind perfekt gewählt, so dass man sich wirklich vorstellen kann, mit lebenden Personen zu agieren. Als echte Besonderheit kann derzeit wohl die Mimik und Gestik der Charaktere angesehen werden, die dem Spieler auch eine emotionale Einsicht in die Charaktere gibt. Man kann sie richtig lieb gewinnen. Das tröstet dann auch deutlich über die Tatsache hinweg, dass die Story, die sich in ihrer vollen Bedeutung nach Beendigung des Spiels erst offenbart, nicht soviel Tiefgang hat wie zum Beispiel bei „Max Payne 2“.
Ich liebe mein Brecheisen
Im weiteren Spielverlauf erhält man die unvermeidliche Bewaffnung, die in einem Ego-Shooter nicht fehlen darf: Hier wurde erwartungsgemäß einiges an Waffen aus dem ersten Teil übernommen: Brecheisen, 9-mm-Pistole, Magnum, SMG, Schrotflinte, Armbrust, Raketenwerfer und Handgranaten. An Neuerungen hat man das Plasmagewehr, den Pheropod (Antlion-Köder) und die Gravity Gun. Ein recht ansehnliches Arsenal, welches aber einige Tücken hat. So kann man mit der Magnum aus nahezu beliebiger Entfernung einen Combine erledigen, während man aus kurzer Entfernung mit dem SMG mehrere Schüsse benötigt. Und die Armbrust als einzige Sniperwaffe ist auch mit Vorsicht zu genießen, haben die abgefeuerten Bolzen doch ballistisches Verhalten, sie fliegen also in leichtem Bogen nach unten. Der Pheropod ist nur in zwei Abschnitten wirklich nutzbar, wird aber danach immer noch im Inventar geführt.
Das absolute Highlight ist aber die Gravity Gun. Sie ermöglicht es dem Spieler, Barrieren aufzuräumen, hilft beim Minenentschärfen und auch beim „Einfach aus Spaß Kisten durch die Luft wirbeln“. Auch kann sie als Waffe dienen, was man in einem späteren Kapitel sehr gut nutzen kann. Die Kreissägeblätter, die dort herumliegen sind keine Dekoration – einfach mal probieren. Insgesamt ist das Spiel in 14 Kapitel unterteilt, wobei jedes Kapitel ein anderes Szenario bietet. So beginnt man in der Stadt, kommt durch düstere Abwasserkanäle, befährt eine Wasserstrasse, schlägt sich durch eine verrottende Zombiestadt und bekommt noch einige andere Szenarien vorgesetzt, bevor der Endkampf zu schlagen ist. Eine riesige Abwechslung wird dem Spieler da geboten. Besonders nett: Startet man ein neues Spiel, kann man anwählen, in welchem der bis zu dem Zeitpunkt bereits besuchten Kapitel man starten möchte. Eine schöne Idee, die noch nicht überall umgesetzt wird..
Start your engines!
Als Schmankerl darf man an zwei Orten auch mit einem Gefährt herumdüsen. Die Wasserstraßenstrecke legt man mit einem Speedboot zurück, während man für die Strandpiste einen Buggy bekommt. Jetzt kommt natürlich die Frage auf: „Fahrzeuge in einem Ego-Shooter?“ Ja, und es macht riesigen Spaß, da die Steuerung der Fahrzeuge relativ einfach gehalten wurde und man sich nach Erhalt des Fahrzeugs auch erstmal in Ruhe an die Steuerung gewöhnen kann, bevor wieder die unvermeidlichen Gegner auftauchen. Dieser Grundsatz gilt auch für andere Gegenstände und Gelegenheiten; so gibt es nach dem Erhalt der Gravity Gun auch zunächst eine Sequenz, in der der Spieler die grundlegende Bedienung des Geräts erläutert bekommt und mit dem Teil üben kann, bevor der Spielfluss weitergeht.
Der Spielfluss selbst ist linear gehalten, es wird vom Spieler nur erwartet, von Punkt A nach Punkt B zu gelangen. Naja, ganz so einfach, wie es klingt, ist es dann doch nicht. Man wird von Gegnern aufgehalten, muss sich seinen Weg erstmal suchen oder muss sich mit verschiedenen Rätseln herumschlagen. Die menschlichen Gegner sind dabei so ein Thema: Einerseits sind sie durchaus so intelligent, sich in Deckung zu bringen oder auch Handgrananten nach dem Spieler zu werfen, andererseits kann man an manchen Stellen des Spiels sie einfach überrennen, da sie ein solches Spielerverhalten wohl nicht erwarten. Wirklich harte Nüsse sind die Strider, die den Spieler sogar durch Sich-Zusammenducken in der Deckung aufspüren können.
Aber nicht verzweifeln. Fast an jedem Punkt, an dem es zu einem größeren Handgemenge kommt, sind irgendwo Kisten mit Nachschub an Heilpacks und Munition. Es sollte eigentlich nie die Munition ausgehen. Hier empfiehlt es sich auch, nach einem eingekreisten Lambda-Zeichen Ausschau zu halten. Und wenn es mal keine Gegner gibt und man dennoch nicht weiterkommt? Dann sollte der Spieler sich mal seine Umgebung ganz genau anschauen, irgendwo gibt es vielleicht einen verbogenen Drahtzaun, ein paar „zufällig“ herumstehende Fässer, eine Waschmaschine auf einem Brett in schwindelnder Höhe oder andere Auffälligkeiten, die Hinweise geben, wo und wie es weitergehen könnte. Blicke nach oben können an einigen Stellen sehr hilfreich sein. Was auffällt: Es wird relativ häufig nachgeladen, um neue Kapitelabschnitte zu spielen. Zunächst mag dies verwundern, wenn man aber auf der anderen Seite die vielen Details und Gimmicks berücksichtigt, die das Spiel enthält, kann man das durchaus nachvollziehen. Bei Levels, die nicht so stark mit Details geschmückt sein müssen, ist die Strecke zwischen den Ladepunkten auch dementsprechend größer.
Schöne neue Welt
Was soll man zur Grafik von Half-Life 2 sagen? Solange man nicht akribisch nach Fehlern sucht, wird man von der Detailtreue und der sagenhaft gut gemachten Kulisse wohl absolut fasziniert sein. Egal, in welchem Level man sich bewegt, die Kulisse ist immer passend gestaltet. In den Leveln, in denen man mit Fahrzeugen unterwegs ist, ist während der Fahrt natürlich der Hintergrund einfacher gehalten, da man sich als Spieler mehr auf das Fahren als auf den Hintergrund konzentrieren muss, dennoch ist eine schön gemachte Landschaft zu sehen. In den anderen Leveln kann man immer wieder über kleine Details stolpern, die zwar nicht spielrelevant sind, aber die Atmosphäre durchaus dichter machen. Während des ersten Spielstarts versucht Half-Life 2, die optimalen Grafik- und Soundeinstellungen für das System zu ermitteln, man kann aber nachträglich auch selbst Hand anlegen, um z.B. die Auflösung oder verschiedene Detailstufen der Grafikrenderung anzupassen. Dadurch kann man sicherlich bei schwächeren Systemen noch eine Optimierung des Spielflusses erzielen.
Was man auf jeden Fall kontrollieren sollte, ist die Einstellung der Helligkeit. Sollte diese zu hell eingestellt sein, erlebt man in den dunkel gehaltenen Levels wie den Abwasserkanälen einen unschönen Farbverlauf an Decke und Wänden durch die falsche Helligkeitsberechnung. Gut gelungen sind die Effekte bei zu hoher Lichteinstrahlung. Wird man z.B. von einem fliegenden Auge mit Blitzlicht fotografiert, ist man für Sekundenbruchteile geblendet wie im richtigen Leben. Und bei der Fahrt aus einem stockdunkeln Tunnel in strahlendes Sonnenlicht ist es ebenso – man sieht für eine Sekunde nur einen weißen Bildschirm – ein Zeichen dafür, dass Gordon keine Sonnenbrille trägt. Die Steam-Engine hat ein hohes Potential, noch für einige Spielekracher zu sorgen, das kann man an Half-Life 2 schon sehr deutlich sehen. Um einen direkten Vergleich zu wagen: Die Doom 3-Engine hat sicherlich auch ihre Vorteile, nur fallen hier Licht- und Schatteneffekte sehr hart aus, was für dieses Spiel eher störend wäre.
I can´t hear you!
Was den Sound betrifft, so sollte man zunächst sagen, dass die Synchronisation der Sprecher und die Animation der Charaktere einwandfrei gelungen sind. Mir ist keine Situation aufgefallen, in der die Lippenbewegungen und die Mimik nicht zu den gesprochenen Sätzen gepasst hätte. Die gegnerischen Sounds „beschränken“ sich bei menschlichen Gegnern auf die Dialoge des Sprechfunks, die allerdings sehr ausführlich geführt werden, und die Angriffsgeräusche der Aliens. Die Geräusche der Waffen wurden, sofern vorhanden, vom Vorgänger übernommen und ein wenig überarbeitet. So ist der Klang auch abhängig davon, in welcher Umgebung man feuert. Eine nette Besonderheit ist, dass man durch zu große Schallbelastung (wenn z.B. eine Granate in nächster Nähe zum Spieler explodiert) kurzzeitig das Gehör verliert und nur noch ein Pfeifen vernimmt. Irritierend und sehr realistisch.
An Musikuntermalung sollte man nicht allzu viel erwarten. Sie ist dezent und der Situation angepasst, dängt sich nicht in den Vordergrund und wird wohl auch nicht vermisst werden, wenn sie nicht spielt. Und sie spielt nicht allzu häufig. Gut gemacht ist auch die anwählbare Textunterlegung der gesprochenen Dialoge, die es auch bei akustisch widrigen Umständen erlaubt, das, was einem im Spiel gesagt wird, zu verstehen. Ein Novum, welches ich bis dahin noch nicht gesehen habe, ist die Option, auch spielrelevant wichtige Geräusche wie zum Beispiel das Angriffsgeräusch eines Facehuggers als Texteinblendung zu erleben. Das gäbe einem sogar die Möglichkeit, komplett ohne Sound zu spielen, wenn man dies möchte.
Steam und die Installation
Vor dem Spiel steht die Installation. Und hier kann man ein wenig Kritik anbringen: Es ist nichts gegen die Online-Registrierung einzuwenden, in der heutigen Zeit ein vielleicht gut überlegter Schritt zur Eindämmung der Raubkopienanzahl. Nur stellt sich die Frage, ob es notwendig ist, dass ca. 20 Megabyte an Daten heruntergeladen werden müssen, um die DVD-Version des Spiels freizuschalten. Ein kleiner Bug in der vorliegenden englischen DVD-Version: Man muss zwangsweise Counterstrike: Source installieren, da ansonsten das Installationsprogramm abbricht. Wird dies gemacht, erfolgt eine reibungslose Installation. Nach Online-Registrierung und Freischaltung belegt das Spiel zusammen mit Steam und CS:S ca. 4,5 Gigabyte an Festplattenplatz.
Beim Starten des Spiels wird zunächst das Steam-Prgramm gestartet; hier lauern wieder zwei Hürden. Zunächst: erst nach erfolgreicher Online-Registrierung, ebenfalls notwendiger Online-Freischaltung und korrekter Einstellung der Optionen in Steam darf man auch Offline spielen. Sofern man die erste Hürde gemeistert hat, muss man dennoch den Start von Steam und das Bemängeln der fehlenden Online-Verbindung ertragen, bevor man Oflline spielen darf. Diese Prozedur kann mitunter schon eine gewisse Zeit dauern und auch ein wenig Nerven kosten. Wenigstens läuft der zusätzliche DVD-Kopierschutzcheck zumindest an meinem Testrechner in relativ kurzer Zeit ab.
Multiplayer? Ja, aber…
Ein kurzes Statement noch zum Thema Multiplayer. So, wie Half-Life 2 jetzt ausgeliefert ist, ist es ein reines Single-Player-Spiel, es ist keine Art von Multiplayer-Variante integriert. Für Multiplayer muss man auf Counterstike: Source, welches ja auch mitgeliefert wird, zurückgreifen. Das wird die Fans von Counterstrike wahrscheinlich nicht weiter enttäuschen, für alle anderen ist es eine kleine, bittere Pille, die sie schlucken müssen. Doch wird es sicherlich nicht allzu lange dauern, bis die ersten Mods erscheinen werden und auch den Nicht-Counterstrike-Spielern den Half-Life-2-Genuß im Multiplayer bescheren.